Dr. Leyla Tavernaro-Haidarian, Forscherin an der Universität Johannesburg und Beraterin für die Vereinten Nationen in Wien
Die Wertschätzung des Menschen und die Wahrung der Menschenrechte erfordern einen grundlegenden Wandel nicht nur in der Art und Weise, wie wir unsere Probleme wahrnehmen, sondern auch wie wir sie wirksam angehen. Die Agenda der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung widmet sich diesem Wandel. Durch sie werden die verschiedenen Ziele der nachhaltigen Entwicklung nicht als isoliert oder im Wettbewerb miteinander angesehen, sondern als untrennbar verbunden.
Was sind die Ziele der nachhaltigen Entwicklung? Die sogenannten ‚SDGs‘? Diese sind: Keine Armut, kein Hunger, Gesundheit und Wohlergehen, Hochwertige Bildung, Gleichstellung der Geschlechter, Sauberes Wasser und Sanitäre Einrichtungen, Bezahlbare und saubere Energie, Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum, Industrie, Innovation und Infrastruktur, Weniger Ungleichheiten, Nachhaltige Städte und Gemeinden, Verantwortungsvoller Konsum und Produktion, Massnahmen zum Klimaschutz, Schutz des Lebens unter Wasser, Schutz des Lebens an Land und schließlich Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen. Diese Ziele sind alle eng miteinander verknüpft. Um eines dieser Ziele zu erreichen, müssen wir an allen arbeiten.
Wichtig ist auch das Wort ‚nachhaltig‘ oder ‚sustainable‘. Es bedeutet mehr als nur kurzfristig wirtschaftlichen Wohlstand zu erreichen. Gerade weil viele Länder nicht auf der gleichen Ebene sind, wenn es um wirtschaftliche und industrielle Ressourcen geht, erweisen sich rein materiell geprägte Überlegungen hinsichtlich Entwicklung als unpassend. Sie bewahren letztendlich nur die Macht derer, die bereits einen Vorteil haben. Ganz zu schweigen von den verheerenden Ergebnissen, die ein rein wirtschaftlicher Fokus auf die Umwelt haben kann. Die, die am meisten und zuerst unter solchen Folgen leiden, sind immer wieder sozial benachteiligte Menschen – das sind oft Frauen und besonders Frauen aus ländlichen Gebieten. Hier kann eine Geschichte vieles erleuchten:
Ein Dorf in Indien erhält von einer Hilfsorganisation Wasserpumpen. Die Pumpen werden installiert, um zu vermeiden, dass die Frauen der Umgebung mehrere Stunden am Tag zu Fuss gehen müssen, um zur nächsten Wasserquelle zu gelangen. Seltsamerweise werden aber die Pumpen nach wenigen Tagen beschädigt. Wer hätte Interesse daran, so etwas zu machen? Wer würde die Entwicklung der eigenen Gemeinde bewusst verhindern wollen?
Wie sich herausstellt, sind es die Frauen selber, welche die Pumpen über Nacht beschädigen. Aber warum? Nach einer eingehenden Untersuchung wird deutlich, dass die Frauen des Dorfes ihre stundenlangen Spaziergänge zur Quelle und zurück sehr wohl schätzen. Es ist nämlich der einzige Weg, vom Druck des täglichen Lebens wegzukommen – vom Patriarchat, vom Haushalt und der Kindererziehung, die ihnen alleine aufgebürdet wird. Die Verfügbarkeit von Wasserpumpen allein reicht also nicht aus, um die Bedürfnisse dieser Gemeinde zu befriedigen. Das Prinzip der Gleichberechtigung von Mann und Frau spielt auch eine wesentliche Rolle.
Obwohl es natürlich Situationen geben kann, in denen solche Pumpen hilfreich sein können, ergeben sich hier viele Erkenntnisse. Zum Beispiel erfordert nachhaltige Entwicklung den Aufbau von Kapazitäten, die über rein wirtschaftliche Aspekte hinausgehen. Zum Beispiel sind Grundwerte, wie Gleichberechtigung, wichtig. Und Entwicklung wird am besten durch die Teilnahme aller Gemeindemitglieder angetrieben – vor allem von Frauen. NGOs und Hilfsorganisationen können dann diese Bemühungen unterstützen.
Nachhaltigkeit bedeutet daher, Entwicklung ganzheitlich zu betrachten. Materiell aber auch sozial und geistig. Was wir brauchen ist nicht mehr Wettbewerb und Individualismus, sondern Zusammengehörigkeit und Kooperation. Das bedeutet auch, dass unser Verständnis von Macht (‚power‘) sich verändern muss. Welche Art von Machtverständnis brauchen wir? Normalerweise wenn wir an das Wort ‚Macht‘ denken, denken wir an Missbrauch oder Dominanz. Wir verbinden damit materielle Ressourcen wie Geld und Rüstung und dergleichen. Aber es gibt alternative Vorstellungen von Macht.
Die Vereinten Nationen betrachten Macht unter anderem auch als Kapazität, Fähigkeit oder Gegenseitigkeit. Solche Konzepte finden sich in allen Religionen, in vielen Kulturen und auch im Feminismus. Macht wird als das angesehen, was fürsorglich ist und andere aufbaut. Sie wird als Kraft oder Energie betrachtet. Ein solches Konzept wirkt sich natürlich ganz anders auf unser Verhalten aus. Wir handeln nicht mehr zu unserem eigenen Vorteil und zum Nachteil anderer. Sondern handeln so, dass es, sowohl dem eigenen Selbst als auch der Gesellschaft zugute kommt.
Doch wie können solche Vorstellungen von Macht oder Kraft, von Zusammengehörigkeit und Gegenseitigkeit Bestand haben und Wurzeln schlagen? Ein Weg, den die Vereinten Nationen betonen, ist Bildung – durch den Aufbau von Fähigkeit innerhalb einer Bevölkerung, ihren eigenen Entwicklungspfad zu bestimmen und zum Gemeinwohl beizutragen. Der Aufbau von Werten, von geistigen Fähigkeiten, durch Bildung fördert Gerechtigkeit und unterstützt nachhaltige Entwicklung. Wichtig ist es dabei, die Stimmen und Erfahrungen derer, die immer wieder ausgeschlossen werden oder sozial benachteiligt sind, zu integrieren und zu verstärken – so wie die von Frauen. Wenn wir dies nicht tun, verändert sich nichts.
Ein Versuch Werte-Bildung in den Vordergrund zu stellen ist die Initiative ‚Education for Justice‘ des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung. Sowohl der Inhalt des Curriculums als auch die damit verbundenen Methodologien sind so aufgebaut, dass alle Teilnehmer*innen aktiv mitmachen, dass sie beraten und verschiedene Themen rund ums ethische Handeln, um Gegenseitigkeit und Zusammensein erforschen. Das Programm besteht aus einer Reihe von Modulen, die für jeden Online zugänglich sind und die man beliebig einsetzen kann. Sie sind mit theoretischen und praktischen Beispielen ausgestattet, die uns helfen zu erforschen was wir tun können, um Gerechtigkeit zu erreichen und um die Ziele der nachhaltigen Entwicklung zu erreichen.
Wichtig an diesem Programm, und was sich auch in den Aktivitäten der weltweiten Baha’i-Gemeinde widerspiegelt, ist die Idee, dass Bildung eng mit ethischen, geistigen Werten verbunden ist und dass es ein lebenslanger Prozess ist. Daher gibt es Programme für kleine Kinder, Junioren, Jugendliche und Erwachsene jeden Alters. Bildung wird vor allem auch als ein Prozess betrachtet, der eine ganze Gemeinschaft einbezieht, nicht nur Lehrer*innen und Schüler*innen. Auf diese Weise wird ein solides Fundament gelegt, um sowohl die geistigen Ideale als auch die formalen Rahmenbedingungen zu schaffen, welche Gerechtigkeit stiften und nachhaltige Entwicklung bewirken.
Link zum Programm: https://www.unodc.org/e4j/
Geschäftsführende Sekretärin:
Corinne Farid
Öffnungszeiten des Nationalen Bahá'í Sekretariats:
Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag von 9 bis 12 Uhr und
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Das Sekretariat steht Ihnen auch telefonisch für Informationen zur Verfügung.