"Alle Menschen wurden erschaffen, eine ständig fortschreitende Kultur voranzutragen."
Stern

Bahá'í  Österreich

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Es ist an der/die Zeit
von:
Mag. Christina Waltritsch, Dipl. Lebens- und Sozialberaterin

Mag. Kristina Waltritsch, Dipl. Lebens- und Sozialberaterin

Gleichberechtigung der Geschlechter, Chancengleichheit, Gerechtigkeit – ist es endlich an der Zeit, neue Weichen zu stellen und über althergebrachte Denkmuster und Strukturen hinauszuwachsen? Oder haben wir in einer immer komplexeren Welt die Chance auf einen solchen Wandel verspielt? Fehlen passende Antworten, sind es vielleicht unsere Fragen, die neues Bewusstsein entstehen lassen und zu machbaren Handlungsschritten inspirieren.

Worüber werden kommende Generationen berichten, wenn der Blick zurück auf das Jahr 2021 fällt? Was werden sie über den 8. März sagen oder denken? Was haben wir uns selbst gedacht, am sogenannten internationalen Weltfrauentag, der bereits seit mehr als 100 Jahren ausgerufen wird?

„Frauentag. Gähn. Hatten wir schon. Bringt doch nichts“, greift zum Beispiel Gertraud Klemm in ihrem Artikel in der österreichischen Tageszeitung Standard (7.3.2021) zum Weltfrauen ein Stimmungsbild in unserer Gesellschaft auf. Sie erlaubt sich eine „Kopfwäsche anlässlich des frauenpolitischen Stillstands im Land“. So manche*r fühlt sich damit jedoch eher in der eigenen Meinung bestätigt. „Es ist der gleich unnütze Tag wie Muttertag, brauchen wir nicht“, ist zu hören. „Ich hatte als Frau noch nie Probleme mit ungleicher Behandlung – so ein Tag ist für nichts gut“, betonen andere. Oder stellen konsterniert in den Raum, dass es wohl auch viele andere Ungerechtigkeiten gäbe – und der Weltfrauentag solle ohnehin nur die Blumen- und Pralinenumsätze ankurbeln. „Nein, danke!“, ist der kurz gedachte Tenor.

Vielleicht gehören Sie aber zu den anderen?  Zu jener Gruppe, die aktiv Stellung bezieht. Menschen, die es sehr ernst meinen, wenn sie eindringlich und konsequent auf die unzähligen Ungerechtigkeiten aufmerksam machen, die den Alltag von Frauen nach wie vor prägen. Und sich dabei nicht auf den 8. März reduzieren lassen. Haben Sie darauf gepocht, dass es den Equal Pay Day nicht mehr geben dürfte? Haben Sie auf die niedrigen Frauenquoten in den Führungsetagen und Aufsichtsräten hingewiesen? Auf Ungleichbehandlungen, unbezahlte Care-Arbeit, die Herausforderungen als Alleinerzieher*in (über 88 % Frauen), auf die drohende Altersarmut von Frauen und auf die Abhängigkeiten fördernde Tendenz, Frauen wieder „liebevoll“ hinter dem Herd zu positionieren? Sind Sie gegen flapsige Aussagen wie „dann müssen Frauen halt auch den ganzen Tag arbeiten und besser verhandeln“, oder „es gehört zur Natur der Frau, sich um Heim und Kinder zu kümmern“ aufgestanden?

Ein kurzer Fakten-Check bestätigt schnell die berechtigte Sorge, dass wir in Sachen Gleichberechtigung und Gleichstellung noch nicht allzu weit gekommen sind. Zumindest nicht so weit, wie sich manche wünschen, es gerecht wäre oder andere auf Grund von Wissenslücken glauben. Schon der Gender Pay Gap, auch als Lohnlücke bezeichnet, spricht eine klare Sprache. „Aktuell liegt die Einkommensdifferenz in Österreich, der viel zitierte Pay Gap, im Durchschnitt bei 14,3 %. Umgerechnet sind das 52 Arbeitstage, die Frauen kostenlos arbeiten, oder anderes ausgedrückt: jedes 7. Jahr“, ist auf der Website equal-pay-day.at vom internationalen Frauennetzwerk Business & Professional Women (BPW) zu lesen. BPW macht sich seit Jahren für die Sichtbarkeit dieses Themas stark und stellt klar: „Equal Pay ist ein Recht, kein Wohlwollen!“.

Bezogen auf die Einkommen von Frauen und Männern zählt Österreich laut Statistik Austria nach wie vor zu den Ländern mit den höchsten Lohnunterschieden in der EU. Hier zeige sich dann laut Sozialbericht auch der lange Atem traditioneller Geschlechterrollen: „Sobald Kinder zur Welt kommen, verdeutlichen sich systematische Unterschiede bei Arbeitszeit und Erwerbsbeteiligung.“  Mit beträchtlichen Folgen für Karriereschritte und Pensionszahlungen. Und nach wie vor gibt es am Arbeitsmarkt eine markante Trennung in typische Frauenberufe und Männerberufe. Die Wiener Zeitung online berichtet am Frauentag 2021, das zeige sich zum Beispiel in der Elektro- und Telekommunikationstechnik mit einem Männeranteil von über 94 Prozent oder einem Frauenanteil in der Krankenpflege und Geburtshilfe von rund 96 Prozent. Das jeweils bevorzugte Arbeitsfeld ist an sich auch kein Problem – die ungleiche monetäre Bewertung von Frauen- und Männerberufen mit allen Folgeerscheinungen jedoch schon.

Die Zukunft wird heute gestaltet

Pro oder contra? Aufschrei oder Lethargie? Beteiligung oder Ignoranz? Es gibt so viele Denk- und Handlungsmuster, die mit dem großen Thema der Gleichwertigkeit von Mann und Frau einhergehen. Immer facettenreicher werden auch die Einflüsse, die unser Bewusstsein und unsere Handlungsstrategien formen, sowie die Gleichstellung von Mann und Frau bzw. die Gleichberechtigung der Geschlechter in Österreich absichern, bewusst machen, erforschen und voranbringen wollen. Wer ein bisschen recherchiert, wird auch schnell fündig – seien es längst festgeschriebene gesetzliche Grundlagen wie Bundes- und Ländergesetzte zur Gleichbehandlung in Österreich, die Gleichbehandlungsanwaltschaft mit Regionalbüros in den Bundesländern, oder zum Beispiel der Österreichische Frauenring (www.frauenring.at), der als Dachorganisation österreichischer Frauenvereine mehr als 40 Mitgliedsorganisationen vertritt und sich als zentrales Anliegen der Wahrung der Rechte aller Frauen und der Gleichstellung der Geschlechter widmet.

Wissenschaft und Forschung durchleuchten das Thema heute längst interdisziplinär, von der Frauen- und Geschlechterforschung über die Soziologie, den Diversity Studies und der Queer-Forschung, bis hin zur Gender-Medizin. Bücher wie „Fortschritt der Frauen“ von Janet A. und Peter J. Kahn, oder „Die Wahrheit über Eva“ von Carel van Schaik und Kai Michel bieten wieder andere Perspektiven, sich dem komplexen Thema zu öffnen. So wird von Khan und Khan das so ausschlaggebende Bahá’í-Prinzip der Gleichstellung der Geschlechter beleuchtet, van Schaik und Michel fokussieren die Evolution und betonen: „Ohne die starke Rolle der Frauen ist der Erfolg unserer Spezies nicht zu verstehen. Und ihre Unterdrückung war alles andere als Normalität.“ Das Thema findet also vielfach und aus sehr komplementären Perspektiven Beachtung. Trotzdem scheint sich auf Gesellschaftsebene wenig zu verändern, wenn wir den Diskussionen rund um die immer wiederkehrenden Gleichstellungsfragen zuhören. Also, was tun?

Größer Denken. Tiefer liegende Fragen stellen.

Gleichstellung und die Rechte der Frauen sind kein „Frauenproblem“. Vielmehr muss es in den wesentlich breiteren Kontext der „Gerechtigkeit“ eingebettet werden. Nicht irgendwann, sondern heute. „Gleichberechtigung, Chancengleichheit und Gerechtigkeit sind Begrifflichkeiten, die keine Erfindung der Moderne sind, sondern bereits bei antiken Philosophen diskutiert wurden“, sagt Dr.in Christine Pichler, Professorin für Soziologie am Studiengang Disability and Diversity Studies an der Fachhochschule Kärnten. „Die zentrale Frage dabei war und ist immer: Was ist gerecht? Und darauf gibt es bis heute keine eindeutige Antwort. Auch deshalb nicht, weil damit eine Vielfalt an Dimensionen, Faktoren und Einstellungen geknüpft sind.“ Diese Vielfalt fordert uns heraus, lädt uns ein auch über die Frage „Was ist im Sinne der Gleichstellung von Mann und Frau gerecht?“ tiefergehend nachzudenken. Und uns dabei auch zu fragen, welche Auswirkungen gelebte Gerechtigkeit in unserer gesellschaftlichen Entwicklung langfristig haben kann.

In „Promulgation of Universal Peace“ unterstreicht ‘Abdu’l-Bahá die Aktualität und Bedeutung der „Rechte der Frau und ihre[r] Gleichberechtigung mit dem Mann“, als Er diese Frage als eines der „allerwichtigsten Probleme“ bezeichnete, mit denen die Menschheit „in diesem strahlenden Jahrhundert“ konfrontiert ist. Er betonte auch, dass „die Verwirklichung der Gleichberechtigung eine Vorbedingung für sozialen Fortschritt und Wohlstand und für die Errichtung des Friedens sei“. Und auch wenn „der drohende mögliche Verlust von Vorrechten dem Widerstand gegen Veränderung Vorschub leistet und die Barrieren gegen die volle Teilhabe der Frauen verstärkt“, weist ‘Abdu’l-Bahá drauf hin, dass „die höchste Entfaltung des Mannes von derjenigen der Frau abhängt“. Damit erklärt Er unter anderem „die Zusammenarbeit der Geschlechter zum effektivsten Weg zu persönlicher und sozialer Entfaltung“.  (zit. nach Khan und Khan, Fortschritt der Frauen, S. 162, ff.)

Es darf also auch in dieser Hinsicht nicht mehr länger um Erfolge auf Kosten anderer, um selbstsüchtige Ziele oder grenzenloses Wettkampfdenken gehen. Vielleicht gilt es viel größer zu denken, neue Möglichkeitsräume zu öffnen – auch wenn es noch keine Antworten für klare, umfassende Lösung gibt. Vielleicht müssen wir, wie Rainer M. Rilke anregt, vorerst „…die Fragen selbst liebhaben…“. Damit wir unserer persönlichen und gesellschaftlichen Weiterentwicklung Raum geben. Und wir nicht ein Problem übersehen, auf das uns unter anderem der Lila-Podcast (www.lila-podcast.de) , der über aktuelle Debatten aus feministischer Perspektive berichtet, hinweist: „Quoten, Vorstände, Equal Pay und Mental Load sind wichtige Themen – keine Frage – aber es sind alles Themen, die zeigen, dass wir vor allem versuchen, IM Kapitalismus zu Gleichberechtigung zu finden und nicht viel darüber nachdenken, das System SELBST zu ändern. Das Problem ist nur: Der Kapitalismus ist nicht an Gleichberechtigung interessiert.“ Wir sollten es aber sein – um über Pro-und-contra-Debatten hinauszuwachsen, um unsere persönlichen und sozialen Potenziale zu entfalten, um eine gerechte Welt aktiv mitzugestalten.

Es ist JETZT die Zeit dafür. Es ist endlich an der Zeit voranzukommen!

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